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Topthema 07/2015: Mindestlohngesetz

Enttäuschte Erwartungen

Vor allem für Unternehmen der Niedriglohnbranchen wird das zum Jahreswechsel eingeführte Gesetz zum Horrorszenario. Was sozialen Frieden stiften sollte, steigert den bürokratischen Aufwand und bedroht Existenzen.

Was würden Sie sagen, wenn plötzlich fremde Personen bei Ihnen an die Tür klopfen und Geld verlangen würden? Sie würden sie sicherlich wegschicken. Stellen Sie sich bitte weiter vor, dass diese Personen von Ihnen Arbeitslohn verlangen, obwohl zwischen Ihnen überhaupt kein gültiger Arbeitsvertrag besteht. So oder so ähnlich könnte ein Horrorszenario aussehen, das womöglich für viele Unternehmer bald schon Realität ist. Denn seit Anfang dieses Jahres gilt das Min­dest­lohn­gesetz. Hinsichtlich Sinn oder Unsinn dieses Gesetzes wird sich ein jeder schon seine eigene Meinung gebildet haben – gleich ob Unternehmer, Rechtsanwalt oder Steuerberater.
Natürlich wird man es als moralisch verwerflich ansehen, wenn ein ­anderer Unternehmer die gesetzliche Lohnuntergrenze nicht einhält, sich aber zumindest auf den Standpunkt stellen, mit den Verfehlungen anderer nichts zu tun zu haben, weil man selbst ja das Mindestlohn­gesetz beachtet. Leider ist das ein womöglich verhängnisvoller Trugschluss! Denn der Gesetzgeber hat auch uns – quasi als verlängertem Arm des Staats – auferlegt, über die Einhaltung des Min­dest­lohn­ge­set­zes zu wachen. Sollten wir dies nicht tun, drohen drakonische Strafen.
Im Einzelnen: In § 13 Mindestlohngesetz (MiLoG) hat der Gesetzgeber eine Haftung des Auf­trag­ge­bers für Werk- oder Dienstleistungsverträge implementiert. Diese Norm wiederum verweist auf § 14 des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG). Nach dieser Vorschrift haftet ein Auftraggeber für die Verpflichtungen eines beauftragten Unternehmers, eines Nach­unternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nach­unternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.
Wenn also eine Gebäudereinigungsfirma beziehungsweise ein Hausmeisterservice oder der­­chen von einem anderen Unternehmen ­beauftragt wurde, entsprechende Dienstleistungen zu erbringen, hat der Auftraggeber darüber zu wachen, dass die von ihm beauftragte ­Firma und auch deren Subunternehmer das Mindestlohngesetz einhalten. Neben hohen Geldbußen und dem Ausschluss von öffentlichen Vergabeaufträgen umfasst der Strafenkatalog des Min­dest­lohn­ge­setzes zahlreiche weitere Sanktionen. Darüber hinaus kann sich der Auftrag­geber sogar dem Vorwurf der Beihilfe zu Straftaten ausgesetzt sehen.
Bei dieser Haftungsnorm handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung. Das kann weitreichende Folgen haben. Geht zum Beispiel die beauftragte Firma in die Insolvenz, kann man der Haftung nicht dadurch entgehen, indem man sich darauf beruft, von der Nichteinhaltung des Mindestlohns nichts gewusst und weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis von den Verstößen gehabt zu haben.
Der Gesetzgeber beabsichtigt jedenfalls, die Wirksamkeit des Min­dest­lohn­ge­setzes umfangreich sicherzustellen. Die Haftung des Auftraggebers umfasst die Differenz zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und dem vom beauftragten Unternehmer oder Subunternehmer tatsächlich gezahlten Lohn. Diese Differenz errechnet sich nach § 14 AEntG aus dem Mindestlohn abzüglich der Steuern, der Beiträge zur Sozialver­sicherung beziehungsweise zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendung zur sozialen Sicherung (Nettolohnhaftung). Aber Achtung: § 13 MiLoG erklärt § 14 AEntG nur für entsprechend anwendbar.
Damit ist hier einer ausufernden Haftung Tür und Tor geöffnet. Weder ist klar definiert, was unter Nettolohn genau zu verstehen ist, noch, was im Insolvenzfall gelten soll. Darüber hinaus kann es, etwa nach einer Sozialversicherungsprüfung, zudem sein, dass ein Minijobber bei Überschreitung der 450-Euro-Grenze plötzlich sozialversicherungspflichtig wird. Im schlimmsten Fall drohen, je nach Auslegung des Gesetzes, auch Nachforderungen des Insolvenzverwalters oder der Fi­nanz­ver­wal­tung hinsichtlich Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag und/oder des So­zial­ver­si­che­rungs­trägers bezüglich der Sozialversicherungs- beziehungsweise Be­rufs­ge­nos­sen­schafts­bei­träge. Dadurch wäre die zuvor beschriebene Nettolohnhaftung ausgehöhlt, und man würde vollumfänglich wie ein Arbeitgeber haften. Die Entwicklung in der Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten.
In der Praxis führt dies zu fast unlösbaren Problemen. Regelmäßig werden die Unternehmen keine Kenntnisse der Betriebsinterna des beauftragten Unternehmens besitzen. Die einzige Hand­lungs­em­pfeh­lung, die man hier geben kann, besteht darin, sich im Vorfeld sorgfältig über das be­auf­tragte Unternehmen zu informieren und sich vertraglich so gut wie möglich ab­zu­sichern. Dazu gehört beispielsweise, sich von dem beauftragten Unternehmen zusichern zu lassen, dass das Mindestlohngesetz eingehalten wird und, für den Fall der Vergabe von Aufträgen an Sub­un­ter­nehmer, im Vorfeld die eigene Zustimmung erforderlich ist, da ansonsten nicht zu überblicken ist, welche Personen im eigenen ­Hoheitsbereich ­tätig werden. Letztendlich erleichtert dies jedoch nur die Geltend­machung von Regressansprüchen im Innenverhältnis.
Im Außenverhältnis kann die neue Haftungsnorm des § 13 Mindestlohngesetz nicht aus­ge­schlos­sen werden. Somit wird einem hier nichts anderes übrig bleiben, als entsprechend wachsam zu sein und, falls in einem Unternehmen Arbeitnehmer von Drittfirmen tätig sind, diese ge­ge­be­nen­falls direkt darauf anzusprechen, wie die Standards in dem beauftragten Unternehmen sind. Umfangreiche Klageverfahren in diesem Bereich dürften jetzt bereits vorprogrammiert sein.
Aber damit nicht genug – eine weitere Baustelle sind die neuen Aufzeichnungspflichten, die insbesondere für das Bau-, Gaststätten- und Speditionsgewerbe sowie für geringfügig Be­schäf­tigte gelten. Nach dieser neuen Regelung sind von jedem Arbeitnehmer – auch gering­fügig Be­schäf­tigten – Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit innerhalb von spätestens sieben Tagen durch den Arbeitgeber aufzuzeichnen und mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Denkt man hier an die vielen im Bau- oder Speditionsgewerbe tätigen Mittelständler, deren Mitarbeiter teilweise EU-weit tätig sind, ist dieses Anliegen ebenso ­praxisfremd. Un­frei­wil­lige Pflicht­ver­let­zun­gen von Mitarbeitern hierbei führen wiederum zu Willkür bei Betriebsprüfungen, die der Unternehmer am Ende mit möglichen Nachzahlungen oder Strafen quittiert ­bekommt. So viel zum Thema Bürokratieabbau.
Rechnet man die tatsächliche Arbeitszeit vieler Betriebsinhaber von Kleinbetrieben – inklusive Wochenendarbeit – zusammen, kommen viele von diesen selbst gerade einmal auf den gesetzlichen Mindestlohn oder knapp darüber. Stellt sich die Frage, wie bereitwillig diese Arbeitgeber ihren Hilfskräften für einfache Arbeiten ebenfalls 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Das wird viele Arbeitsplätze kosten oder in die Schwarzarbeit führen. Nachbesserungen sind zwar angekündigt, aber leider regiert die Große Koalition durch Verschieben. Es bleibt zu hoffen, dass die Korrekturen schnell kommen und diesmal durchdacht sind. Denn das, was die Politik entscheidet, sollte nicht immer auf dem Rücken der ­Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgetragen werden. Es hilft nicht, wenn Pflichten so praxisfremd sind, dass sie keiner einhalten kann.
Das Bürokratiemonster ist wieder einen Schritt weiter. Das, was uns ­positiv von anderen Ländern unterscheidet – nämlich ein gesunder Mittelstand –, wird weiter demontiert. Noch werden allein im Bau- und Gastgewerbe über 84 Prozent des Umsatzes von kleinen und mittleren Unternehmen erzielt, die dabei über 90 Prozent der tätigen Personen beschäftigen und 84 Prozent aller Auszubildenden qualifizieren.

Quelle: DATEV magazin, Herausgeber: DATEV eG, Nürnberg, Ausgabe 6/2015. Text: Bettina M. Rau-Franz.

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