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Topthema 11/2018: Phantomlohn

Nichts darf fehlen

Sozial­ver­siche­rungs­beiträge ent­stehen un­ab­hängig von der tat­säch­lichen Zah­lung des Arbeit­gebers. Werden diese Beiträge nicht abge­führt, kann sich der betroffene Unter­nehmer strafbar machen, während der Steuer­berater, der ihn betreut, unter Umständen berufs­recht­lich haftet.

Der sogenannte Phantomlohn kann unter gewissen Umständen eine Reihe negativer Aus­wir­kun­gen haben bis hin zu strafrechtlichen Sanktionen mit teils erheblichen finanziellen Folgen. Von besonderer Relevanz ist das Problem in erster Linie für Hand­werks­be­triebe, die als Einzel­unter­nehmer sozial­ver­siche­rungs­pflichtige Mitarbeiter beschäftigen, sowie für Steuerberater, die im Auftrag solcher und ähnlicher Betriebe die monatlichen Brutto-/ Netto-Abrechnungen – wie vorgeschrieben – auf elek­tro­nischem Wege den zuständigen Kran­ken­kassen übermitteln.

Phantom- oder Fiktivlohn

Der Phantom- oder Fiktivlohn ist die Differenz zwischen dem vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer tatsächlich gezahlten und dem ihm rechtlich zu­ste­hen­den Lohn. Die Höhe des rechtlichen Lohns ergibt sich entweder aus dem Arbeits- oder dem Tarif­ver­trag. Sofern nicht – wie bei geringfügiger Be­schäf­ti­gung – Versicherungsfreiheit besteht, unterliegt das Arbeitsentgelt der gesetzlichen Sozialversicherung (SV). Die Höhe der SV-Beiträge richtet sich nach dem Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer rechtlich zusteht. Anders als im Lohnsteuerrecht, in dem es darauf ankommt, ob dem Arbeitnehmer der Lohn auch tatsächlich zugeflossen ist (Zuflussprinzip), gilt bei der Berechnung der Höhe der Sozialabgaben das Ent­ste­hungs­prin­zip. Das heißt: Sozial­ver­siche­rungs­beiträge entstehen und werden fällig unabhängig von der tatsächlichen Zahlung des Arbeitgebers. Bleibt die vom Arbeitgeber gezahlte Vergütung hinter dem rechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers zurück, spricht man von Phan­tom­lohn, für den der Arbeitgeber ebenfalls Sozial­ver­siche­rungs­bei­träge entrichten muss. Obwohl beim Phantomlohn keine Zahlung an den Arbeitnehmer erfolgt, schuldet der Arbeitgeber die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem rechtlichen Arbeits­ent­gelt­anspruch. Er muss deshalb die für den Differenzbetrag entstandenen Sozial­ver­siche­rungs­beiträge (Arbeitnehmer- und Arbeit­ge­ber­an­teile) an die zuständige Kasse abführen.

Sonderstrafrecht für Arbeitgeber

Ob und inwieweit man sich strafbar macht, ergibt sich aus § 266a Abs. 1 und 2 Straf­ge­setz­buch (StGB). Diese Vorschrift zählt zum Bereich des Arbeitsstrafrechts und hängt zusammen mit den Pflichten, die an den Arbeitgeberstatus anknüpfen. Täter einer Handlung nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB können nur Arbeit­geber sein. Der Normzweck von § 266a Abs. 1 und 2 StGB dient dem Schutz des Beitrags­auf­kommens der So­li­dar­ge­mein­schaft.

Arbeitnehmeranteile

§ 266a Abs. 1 StGB bestraft das bloße Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen. Das heißt, der Arbeit­geber macht sich bereits strafbar, wenn er die gemäß § 28d Sozialgesetzbuch (SGB) IV fälligen Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Renten­ver­siche­rung nicht an die zuständige Krankenkasse abführt. Absatz 1 wurde 2002 mit dem Ziel geändert, die Bekämpfung illegaler Beschäftigung beziehungsweise von Schwarzarbeit zu erleichtern. Bis zum 23. Juli 2002 wurde differenziert zwischen Lohnzahlungs- und Lohnpflichttheorie. Ab diesem Zeitpunkt wurde die bisher heftig umstrittene Lohnpflichttheorie Gesetz. Arbeitnehmeranteile müssen – unabhängig von der tatsächlichen Lohnzahlung (Lohn­zah­lungs­theorie) – abgeführt werden. Im neuen Absatz 1 heißt es deshalb: „[…] unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird […]“. Entscheidend ist seit der gesetzlichen Klar­stel­lung also allein die Pflicht zur Zahlung des Lohns. Der Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB (echtes Unterlassungsdelikt) ist demnach erfüllt, wenn der Arbeitgeber der zuständigen Einzugsstelle die nach § 23 Abs. 1 SGB IV geschuldeten Arbeitnehmeranteile vorenthält. Strafbar ist folglich die schlichte Nichtzahlung, weitere Unrechtsmerkmale sind nicht erforderlich (vergleiche BGH, in wistra 2012/235, Fischer, StGB, 60. Auflage, Anm. 11 zu § 266a StGB).

Arbeitgeberanteile

§ 266a Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB betrifft dem­ge­gen­über die sogenannten Täuschungsfälle (vergleiche Müller-Gugenberger, Bieneck [Hrsg.], Wirt­schafts­straf­recht, 5. Auflage, 2011, § 38 Rn. 181). Diese Vorschrift wurde 2004 durch das Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung von Schwarzarbeit vom 23. Juli 2004 eingeführt. Die bloße Nicht­ab­füh­rung der Arbeit­ge­ber­anteile reicht zur Strafbarkeit nach Absatz 2 nicht aus. Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB erfordert vielmehr unrichtige oder unvollständige Angaben (Satz 1) oder das Verschweigen erheblicher Tatsachen (Satz 2) gegenüber den Kassen. Im Hinblick auf die Arbeit­ge­ber­an­teile sind betrugs­ähn­liche Handlungen Voraussetzung der Strafbarkeit. Die Neufassung des § 266a Abs. 2 Satz 1 StGB lehnt sich bewusst an die Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1–3 Abgabenordnung (AO) an (so Fischer, StGB, 60. Auflage, Rn. 19 zu § 266a StGB, zuletzt auch BGH-Beschluss vom 26.07.2017 – 1StR 180/17). Das heißt, die Sozial­kassen müssen – vergleichbar den Finanz­be­hörden – durch unrichtige oder un­voll­stän­dige Angaben oder durch Verschweigen sozial­ver­siche­rungs­recht­lich erheblicher Tatsachen getäuscht worden sein. § 266a Abs. 2 Satz 1 StGB ist wie § 370 Abs. 1–3 AO ein Erfolgsdelikt, das an ein aktives Tun anknüpft, (vergleiche BT Drs. 15/2573, S. 8), etwa das Vorenthalten von Beiträgen durch Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Meldepflichten (so BGH, wistra 2011, 426, 427 und Schönke/ Schröder/ Perron, StGB, § 266a, Rn. 11h). §266a Abs. 2 Nr. 2 StGB ist demgegenüber ein echtes Unter­las­sungs­delikt, das heißt, der Arbeitgeber muss der Kasse eine erhebliche, mitteilungspflichtige Tatsache ver­schwie­gen haben (so Fischer a. a. O., Anm. 21). Der Umfang der Meldepflicht des Arbeitgebers ergibt sich aus § 28d SGB IV (so von Heintschel-Heinegg, Arbeitsstrafrecht, Beck Online Kommentar, § 266a StGB, Rn. 23). In § 28c SGB IV wird in Verbindung mit der Verordnung über die Erfassung und Übermittlung von Daten für die Träger der Sozialversicherung – Datenerfassungs- und über­mitt­lungs­ver­ord­nung (DEÜV) – geregelt, wie die Daten an die Kassen gemeldet werden müssen (so von Heintschel-Heinegg a. a. O., Rn 25). Das Vorenthalten der Arbeitgeberanteile muss darüber hinaus, wie das Wort dadurch deutlich macht, in einem kausalen und funktionalen Zusammenhang zu den unrichtigen oder unvollständigen Angaben (Satz 1) oder dem pflichtwidrigen In-Unkenntnis-Lassen (Satz 2) stehen. Es muss also ein Kausal­zu­sam­men­hang bestehen zwischen der Täuschung der Einzugsstelle und dem Vorenthalten der Arbeitgeberanteile (so Schönke/ Schröder/ Perron, StGB, 2014, § 266a, Rn. 11h; andere Meinung: Fischer, StGB a. a. O., Anm. 21a, der die Feststellung einer Täu­schungs­hand­lung nicht für erforderlich hält). Unstreitig ist dagegen, dass ein Irrtum der Sozialkassen nicht vorliegen muss. Taterfolg beider Varianten des § 266a Abs. 2 StGB ist das Vorenthalten der Sozialbeiträge gegenüber den Sozialkassen. Verschiedene Kommentatoren halten die neue Vorschrift – meines Erachtens zu Recht – für missglückt. Zum einen ist sie aus sich heraus nicht verständlich. Zum anderen setzt sie die Anwendung der ihr zugrunde liegenden, sehr kom­pli­zier­ten Verwaltungs- und Sozialgesetze voraus. So hat der BGH in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08 – deutlich gemacht, dass der „Tat­be­stand der Bei­trags­vor­ent­hal­tung nach §266a StGB vollständig sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet sei“. Die neue Vorschrift setze die Kenntnis des „gesamten Verwaltungs- und Sozial­ver­siche­rungs­rechts, insbesondere des Sozial­ge­setz­buchs mit seinen komplizierten Rechtsfragen voraus” (vergleiche Wirtschaftsstrafrecht a. a. O., § 36, Rn. 12 und 13). Diese Sozialrechtsakzessorietät ist unter anderem für die Verjährung von Bedeutung. Vor Neufassung des § 266a Abs. 2 StGB wurde das Vorenthalten von Arbeitgeberanteilen als Betrug gemäß § 263 StGB geahndet. Nach Einfügung des Absatzes 2 verdrängt § 266a Abs. 2 StGB nach der BGH-Rechtsprechung als Lex specialis und als milderes Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB) den § 263 StGB (vergleiche NStZ – RR 07/236, wistra 08/180). Dies gilt auch für Altfälle. Seit Inkrafttreten der Änderung ist ausschließlich § 266a Abs. 2 StGB anwendbar. § 263 StGB wird nur noch in Fällen des Beitragsbetrugs angewendet, wenn zum Beispiel ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer bei der jeweiligen Sozialkasse nicht angemeldet hat.

Verjährung

Das Vorenthalten von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen erweist sich insbesondere für Einzelunternehmer beziehungsweise kleinere Handwerksbetriebe wegen der überlangen Verjährungsfristen als finanziell besonders nachteilig (in der Regel fällt zudem auch noch ein Säum­nis­zu­schlag an). Zwar verjährt eine Straftat nach § 266a StGB grundsätzlich fünf Jahre nach Beendigung der Tat (§§ 78 Abs. 3 Satz 4, 78a StGB). Die Taten nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB sind jedoch erst beendet, wenn die Pflicht zur Zahlung von Sozialbeiträgen entweder durch Zahlung der Beiträge oder durch Wegfall des Beitragsschuldners erloschen ist (so BGH-Beschluss vom 23.10.2008 – 2 StR 166/08, BGHSt 53/24,31, Fischer, StGB, 60. Auflage, § 78a Anm.14 und wistra 92, 23). Das heißt, die Beendigung der Tat und der Eintritt der Verjährung richten sich wegen ihrer sozialrechtlichen Akzessorietät nach § 25 SGB IV: „Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind“ (Satz 1). „Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind“ (Satz 2). Aus der Straf­ver­fol­gungs­frist von fünf Jahren nach den §§ 78 Abs. 3 Satz 4, 78a, 266a StGB wird in Verbindung mit § 25 Abs. 1 SGB IV bei vorsätzlicher Beitrags­vor­ent­hal­tung schlimmstenfalls eine Verjährungsfrist von 36 Jahren (fünf plus 30 plus eins)! Diese überlange Ver­jäh­rungs­frist erscheint Kritikern der BGH-Rechtsprechung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass Verjährung Rechtsfrieden schaffen soll, zu Recht als unsachgemäß und fragwürdig (so Loose in wistra 5/2018, S. 208, der auch darauf verweist, dass Raub und Brandstiftung nach 30 Jahren und Totschlag schon nach 20 Jahren verjähren). Insbesondere besteht ein krasser Unterschied im Hinblick auf die Verjährung der Beitragspflichten zwischen Personengesellschaften und Einzelunternehmern. Auch in der Literatur ist das Abstellen auf das Erlöschen der Beitragspflicht, wie vom BGH vorgegeben, wegen der Schlechterstellung von Einzelunternehmen im Vergleich zu Vertretern juristischer Personen umstritten. Ein Er­löschungs­grund ist nach der BGH-Rechtsprechung der Wegfall des Beitragsschuldners als Arbeitgeber, zum Beispiel durch Liquidation oder Insolvenz der Per­so­nen­ge­sell­schaft (GmbH, GbR oder Verein). In der Regel erlischt daher die Beitragspflicht für Vertreter von Personen­ge­sell­schaften sehr viel früher. Ein sachlicher Grund für die Schlechterstellung des Einzel­unter­nehmers besteht meines Erachtens nicht.

Konkurrenzen

Jede bei Fälligkeit nicht erbrachte Zahlung verwirklicht den Tatbestand des § 266a StGB als jeweils eine selbstständige Tat je Monat und je Einzugsstelle. Tatmehrheit besteht sowohl gegenüber verschiedenen Kassen in einem bestimmten Monat als auch zwischen den Taten gegenüber einer Einzugsstelle in verschiedenen Monaten, selbst dann, wenn sich die unterbliebene Zahlung auf denselben Fälligkeitszeitpunkt bezieht. Taten nach Abs. 1 und Abs. 2 stehen untereinander Monat für Monat und Einzugsstelle für Einzugsstelle in Tateinheit (vergleiche Wirtschaftsstrafrecht a. a. O., § 38, Rn. 292). Werden Arbeitnehmer- und/oder Arbeit­ge­ber­bei­träge zu unterschiedlichen Fälligkeitsterminen vorenthalten, so stehen diese Taten in Tatmehrheit zueinander, auch wenn das Unterlassen denselben Arbeitnehmer und dieselbe Einzugsstelle betrifft (so Fischer a. a. O., Anm. 36). § 266a StGB ist kein Dauerdelikt. Der Tatbestand ist bereits verwirklicht, wenn die Sozial­bei­träge zum Fälligkeitsdatum nicht bezahlt werden.

 

Quelle: DATEV magazin, Herausgeber: DATEV eG, Nürnberg, Ausgabe 11/2018. Autor: Lilli Löbsack, Rechtsanwältin in Berlin sowie Oberstaatsanwältin i. R.

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