Wissen, woher der Wind weht.

Topthema 12/2014: Fluch und Segen

Der Online-Experte warnt, bleibt aber Optimist

Ist eine Welt ohne Internet heute noch denkbar, und wie wird das Internet unseren Alltag und unsere Arbeitswelt verändern? Sascha Lobo, Autor, Blogger und Strategieberater, zu Gast auf dem DATEV-Kongress. Der Interviewer ist Herbert Fritschka.

DATEV magazin: Herr Lobo, Sie sehen das Internet gleichzeitig als Fluch und Segen, so Ihr Vortragstitel auf dem DATEV-Kongress. Was ist in Ihren Augen die größte Errungenschaft?

Sascha Lobo: Meiner Meinung nach ist die größte Errungenschaft im Internet der soziale Teil des Netzes. Durch das Internet finden Menschen zueinander, die vorher nicht zueinandergefunden hätten. Das stellt den größten Mehrwert dar. Das gilt für mich auch ganz persönlich. Ich habe meine Ehefrau auf Twitter kennengelernt.

DATEV magazin: Nach dem Spähskandal ist nichts mehr, wie es vorher war, die Netzgemeinde hat einen Dämpfer erhalten, gibt es Hoffnung auf Besserung?

Sascha Lobo: Meiner Meinung nach gibt es immer Hoffnung auf Besserung. Ich bin ein notorischer Optimist. Dieser Dämpfer, der durch die Enthüllungen von Snowden entstanden ist, hat mich sehr mitgenommen. Und ich glaube, nicht nur mich, sondern viele Leute. Denn wenn man abwägt zwischen Fluch und Segen, dann hat uns Snowden gezeigt, dass auf der schlechten Seite eine ganze Menge mehr liegt, als wir bisher gedacht haben, nämlich faktisch die Nicht­exis­tenz der Privatsphäre im Internet. Das ist ein großes Problem, gegen das man kämpfen muss.

DATEV magazin: Müssen wir jetzt Angst haben vor dem, was das Internet mit uns macht?

Sascha Lobo: Wenn man das sagt, dann macht man den Fehler zu glauben, man könne das Internet von der restlichen Welt abkoppeln. Tatsächlich würde ich nicht von Internet sprechen, sondern von der digitalen Vernetzung. Sie greift so tief in die gesamte Welt ein, in die Wirtschaft, in die Arbeitswelt und in die Kommunikation, dass man das kaum mehr trennen kann. Wir können heute nicht sagen, Internet ja oder nein. Sondern eher, Zivilisation ja oder nein. Um dem Netz und den Mechanismen dahinter zu entfliehen, müsste ich wahrscheinlich in eine kleine Holzhütte im Norden von Kanada ziehen. Und selbst dort wäre nicht ganz klar, dass ich die Auswirkungen nicht mitbekomme. Insofern haben wir die sehr, sehr schwierige, aber auch sehr schöne Aufgabe, das Beste daraus zu machen. Und zwar jeder Einzelne von uns.

DATEV magazin: Die Digitalisierung verläuft ja auch parallel zur sogenannten Share Economy: alles wird geteilt. Autos, Unterkünfte und so weiter. Sehen Sie diese Entwicklung positiv oder negativ?

Sascha Lobo: Share oder Sharing Economy ist eine Entwicklung, die passiert, und es gibt sehr positive Chancen, die darin liegen, und es gibt ebenso Gefahren, die dahinter lauern. Die größte Gefahr ist meiner Meinung nach, dass die Gesellschaft, vor allem die Politik, gar nicht darauf eingestellt ist, was die Möglichkeiten und die Bedrohung der Share Economy überhaupt mit sich bringen. Da prallt so ein Modell wie Uber oder Airbnb, also Autofahrten oder Wohnungen zu teilen, auf eine Gesellschaft, die noch gar nicht darauf vorbereitet ist. Da ist eine ganze Menge nachzujustieren, was die Regulierung angeht und das gesellschaftliche Verständnis. Der Kern dieser Sharing Economy ist für mich Arbeit und die Frage: Wird Arbeit geleistet, ja oder nein? Bei Uber, das eine Art Weiterentwicklung des Taxis ist, wird Arbeit geleistet, das muss meiner Meinung nach reguliert werden. Bei Airbnb, wo man sein Zimmer vermieten kann, da wird meiner Meinung nach keine Arbeit geleistet. Das ist einfach ein Gut, das man weiterverleihen kann. Deswegen sehe ich Airbnb mit anderen Augen. Share Economy heißt also, neue Arbeitsformen entstehen. Die sollten nicht dazu führen, dass auf einmal ein riesiges Heer von prekären Kräften in der Gesellschaft entsteht.

DATEV magazin: Kann man die digitale Wirtschaft in Ihren Augen wirksam regulieren?

Sascha Lobo: Meiner Meinung nach braucht die Internetwirtschaft, gerade was die Share Economy angeht, eine Regulierung. Damit meine ich weder, dass sie gewerkschaftlich totreguliert werden soll, noch, dass man alles freigeben sollte. Es muss ein Mittelweg gefunden werden. Dazu gehört zum Beispiel eine Flexibilisierung zwischen Freiberuflern und Angestellten. Das ist in Deutschland ziemlich schwarz-weiß, was die beiden Pole angeht. Man muss sich überlegen, wo sind Mischungsverhältnisse, welche Teile kann man davon übernehmen. Eine Weiterentwicklung der Arbeitsgesellschaft, das ist die eigentliche Herausforderung, die hinter der Share Economy steht.

DATEV magazin: Mit der Digitalen Agenda will die Bundesregierung die Chancen der Digitalisierung nutzen, um Deutschlands Rolle als innovative und leistungsstarke Volks­wirt­schaft auszubauen. Ist sie ein Schritt in die richtige Richtung?

Sascha Lobo: Die Digitale Agenda der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Was darin steht, fordern viele progressive gesellschaftliche Kräfte seit vielen Jahren. Ich bin zwar froh darüber, hätte mir aber gewünscht, dass es viel weiter geht. Und zwar unter anderem in dem Bereich der Infrastruktur. Deutschland ist eindeutig ein Infrastrukturland. Der Wohlstand dieses Landes kommt daher, dass man auf Infrastruktur immer größten Wert gelegt hat. Wenn man in andere Länder fährt, dann weiß man auch zu schätzen, was ein intaktes öffentliches Nah­ver­kehrs­system bedeutet, wenn es in kleinen Dörfern Telefon, warmes Wasser und Elektrizität gibt. Das ist das Zeichen einer guten funktionierenden Infrastruktur. Und dass man ausgerechnet die digitale Infrastruktur so vernachlässigt und es noch viele Menschen gibt, gerade auf dem Land, die eine katastrophale Internetanbindung haben, und dass es Regionen gibt, die ganze Wirtschaftszweige nicht betreiben können, weil sie keine anständige Netzanbindung haben, das halte ich für fatal. Und die Digitale Agenda der Bundesregierung eiert leider ganz schön herum, was diesen Punkt angeht.

DATEV magazin: Haben Sie Ihr Netzverhalten denn selbst geändert?

Sascha Lobo: Ich habe mein Netzverhalten zum Teil geändert. Warum zum Teil? Ich habe natürlich vorher schon auf Sicherheit geachtet. Ich habe auch vorher schon besonders delikate Mails verschlüsselt. Ich habe mein Verhalten insofern geändert, als dass ich sehr laut geworden bin. Ich habe versucht, über alle Kanäle, die mir zur Verfügung stehen, und das sind eine ganze Menge, darauf hinzuweisen: Achtung, hier passiert etwas und hier passiert etwas, was in meinen Augen die Demokratie angreift und die Gesellschaft schädigt. Wehrt euch dagegen!

Quelle: DATEV magazin, Herausgeber: DATEV eG, Nürnberg, Ausgabe 11/2014. Text: Herbert Fritschka.

Kontaktieren Sie uns

    Rufen Sie mich an

    * Pflichtfeld